Records Revisited: Innerzone Orchestra – Programmed (1994)

23.08.2024
Dürfen Technoproduzenten mit »echten« Musikern zusammenarbeiten? Carl Craig fand mit seinem Projekt Innerzone Orchestra und dessen einzigem Album »Programmed« die einzig richtige Antwort auf diese Frage. Dafür muss sich das Album bis heute rechtfertigen.

Vor 25 Jahren sah die Welt noch etwas anders und allem Anschein nach geordneter aus. Als der Detroiter Produzent Carl Craig mit seinem Projekt Innerzone Orchestra das Album »Programmed« veröffentlichte, gab es Staunen beim Publikum. Neben Craig treten darauf der Pianist Craig Taborn, der Schlagzeuger Francisco Mora und weitere ›richtige‹ Musiker in Erscheinung. Das hört man der Platte auch an. Zusätzlich zu Craigs elektronischen Klängen wird getrommelt, in Tasten gehauen, gezupft, sogar Blas- und Streichinstrumente kommen zum Einsatz.

»Ist das noch Techno?«, fragten sich damals einige systematisierungswillige Hörer. Carl Craig bemerkte dazu erst in diesem Frühjahr in einem Interview: »In den Neunzigern hatten die Leute, die auf Techno standen, diese Vorstellung, dass immer eine 808, eine 909 und eine 303 dabeisein müssen. Als Miles Davis anfing, ein Wah-Wah-Pedal über seine Trompete zu legen, sind die Leute durchgedreht und meinten, das sei kein Jazz, und ich erlebe dasselbe, wenn ich mit Francisco Mora, der live Schlagzeug spielt, auf die Bühne gehe. Sie sagen dann, das sei kein Techno, weil es keine 808 oder 909 auf der Bühne gibt.«

Ein bisschen Chaos muss sein

Carl Craig selbst hat Gitarre, Kontrabass und Schlagzeug gelernt, spielte früher in Bands und Schulorchestern. Nichts wofür man sich schämen müsste. Hat Craig mutmaßlich auch nicht. Kritik gab es für die Nutzung klassischer Instrumente innerhalb eines Techno-Entwurfes aber eben doch. Aber die Kritik kam noch aus einer anderen Seite, und zwar bis in späten Zweitausender Jahre: Der Schriftsteller und Musiker Thomas Meinecke etwa bemäkelte am Album wiederholt, dass es, anders als der Titel nahelegt, gar nicht »programmiert« sei. Man könnte spitzfindig einwenden, dass das bei Carl Craigs Beiträgen oder denen seines Gasts Richie Hawtin sehr wohl der Fall ist. Doch selbst wenn alles in mühseliger Handarbeit entstanden wäre, entstünde für die Musik daraus vermutlich keine Schwierigkeit.

»Programmed« klingt beim Wiederhören nach einem Auftakt zum großen Lockermachen. Gut denkbar, dass Musiker wie Kieran Hebden später die eine oder andere Anregung von dieser Platte bekamen. In Craigs Musikentwurf auf »Programmed« passt Clubmusik im engeren Sinn genauso wie HipHop, Fusion oder R&B. Zukunft ist ebenfalls noch mit dabei, wenngleich ein wenig Skepsis durchschimmert. Der niederländische Produzent Steve Rachmad kündigt in »Manufactured Memories« jedenfalls auf Holländisch und gut futuristisch an, dass sie aus einer anderen Galaxie kommen, während Craigs Synthesizer dazu freidrehen, bevor die anderen Musiker mit eigenem Groove hinzukommen.

»Programmed« klingt beim Wiederhören nach einem Auftakt zum großen Lockermachen. Gut denkbar, dass Musiker wie Kieran Hebden später die eine oder andere Anregung von dieser Platte bekamen.

Nicht minder frei wirkt der Rapper Terrell McMathis unter seinem Alias Lacksi-Daisy-Cal mit seinen verschleppten Reimen in »The Beginning of the End«, von Craig mit einem alles andere als starren Beat unterlegt. Überhaupt ist das Treiben die Hauptbewegung des Albums, in einigen Stücken mehr im Sinne eines modifizierten Swingens, dann in anderen wieder konzentrierter bis hin zu dem ziemlich notengetreuen Cover von »People Make the World Go Round« von den Stylistics, das vom Detroiter Sänger Paul Randolph interpretiert wird. Stilistisch sicherlich die konventionellste Nummer des Albums. Doch nimmt man das im Ganzen der Platte bloß als weitere Facette wahr, nicht als Fremdkörper. Ebenso Craigs instrumental erweiterte Neufassung seines Klassikers »Bug in the Bassbin«. Auf die Frage, was die Sache denn nun ist, ließe sich antworten: Es ist Techno. Es ist Jazz. Es hat Unordnung in ein Genre gebracht. Es ist ein großer Verdienst.