Was macht eine Band aus? Eine konstante Besetzung? Eine Vision? Vielleicht muss man sich diese Fragen nicht stellen. Laut ihrer Website sei Jaubi (ausgesprochen: Dschau-Bie) ein pakistanisches Quartett. Doch sie sind – zumindest auf Alben – nie in dieser Konstellation zu hören. So wird auf Jaubis aktueller LP, »A Sound Heart«, Perkussionist Quammar Abbas nicht genannt. Umgekehrt bindet die »Band« seit Jahren andere Musiker in kreative Prozesse ein.
Aber, wird man einwenden, es muss doch eine Kerngruppe geben, die eine Leitidee vorgibt. Nur worin besteht diese? In der Abwesenheit einer Leitidee. In Interviews und Texten betonen Jaubi stets, dass sie möglichst wenig vorgeben. Vielmehr fangen sie ohne Mediation zu improvisieren an. »Es war ehrlich«, beschrieben sie 2021 den Aufnahme-Prozess hinter ihrem Debüt-Album. »Alle Egos wurden zurückgelassen. Herz und Seele wurden in die Aufnahme geschüttet. Wir wussten nicht, wie die Musik klingen würde.« Und tatsächlich: Keine der Aufnahmen von Jaubi klingt wie die andere.
Also weder eine fixe Besetzung noch ein Komponist noch ein uniformer Einsatz – was macht Jaubi dann zu Jaubi? Die »Band« ist ein Paradebeispiel für das Theseus-Paradox. Theseus hat eine Galeere. Auf Schiffen gehen Planken kaputt. Also tauscht der Kapitän sie aus. Das macht er eine Zeit lang. So lange, bis er irgendwann alle Bauteile des Schiffes ausgetauscht hat. Segelt er noch auf demselben Schiff? Oder ist es ein neues Schiff?
Chicago, Hindustan
Zeichnen wir den Umbauprozess von Jaubi nach. 2013 lernte der australisch-pakistanische Gitarrist Ali Riaz Baqar den Sarangi-Spieler Zohaib Hassan Khan kennen. Die beiden begannen, regelmäßig zu improvisierten. Gemeinsam mit dem Tabla-Spieler Kashif Ali Dhani and Perkussionist Qammar Abbas spielten sie 2016 die EP »The Deconstructed Ego« ein. Zum ersten Mal ließ das Ensemble Jazz und Raga ineinanderfließen und fügte nahtlos Hip-Hop-Beats ein. Zum ersten – und letzten Mal – sind romantische Akustik-Gitarren und Konnakol-Vokal-Percussion zu hören. Nie wieder nahmen Jaubi als Quartett auf. »The Deconstructed Ego« ist das »originale« Schiff.
Der Trip war mehrmals kurz davor, zum Desaster zu werden. Während sie aufnahmen, hörten ihre Soundtechniker in voller Lautstärke YouTube.
Sein Umbau begann, als der britische Jazz-Produzent Tenderlonius Wind von Jaubis Talent bekam. 2019 flogen er und Keyboarder Marek Pędziwiatr nach Lahore. Mit Jaubi ließen sich die beiden auf völlig improvisierte Aufnahmen ein. Der Trip war mehrmals kurz davor, zum Desaster zu werden. Während sie aufnahmen, hörten ihre Soundtechniker in voller Lautstärke Youtube. Wiederholt wurden ihre Sessions durch den Gebets-Aufrufe der nahen Moschee unterbrochen. Doch das Ergebnis spricht für sich: »Nafs at Peace« erlaubte Jaubi den internationalen Durchbruch, wurde u. a. von The Guardian als eines der besten Alben des Jahres gelobt. »Nafs« klingt nach Hindustan und fühlt sich an wie Chicago, so nahtlos gehen Ragas, Jazz und Hip-Hop ineinander über. Wiederholt steigert sich die Band zu Crescendi unvergleichlicher Intensität.
Inter-national, kreativ und ergebnisoffen
Seither sind mit dem Aufnahmeprozess auch die Aufnahmen smoother geworden. 2022 nahmen Jaubi mit Pędziwiatrs Jazz-Quartett EABS das Album »In Search of a better Tomorrow« auf. Die jazz-lastige Kollaboration ist emblematisch dafür, was Jaubi ausmacht: Inter-Nationalität, Kreativität und die Fähigkeit, sich auf andere einzulassen.
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2024 folgte mit »A Sound Heart« Jaubis zweite LP. Es ist ihr sinnlichster Release bisher, der Mix weicher und wärmer. Die Hindi-Jazz-Vibes sind erhalten geblieben, doch das Album schwankt zwischen sexy Rhythmen und smoothen Wellen. Was also macht die »Band« zur Band? Sie ist wandelbar wie das Schiff des Theseus und haben dennoch einen unverwechselbaren Stil. Radikale Offenheit macht Jaubi zu Jaubi.