Ein Tonstudio in Berlin-Lichterfelde. Lonnie Rashid Lynn alias Common telefoniert noch. Als er fertig ist, eröffnet er seiner deutschen Pressebetreuerin: »I am making an executive decision now.« Er wolle die angesetzten Interviews streichen. Entweder er werde die Gespräche führen oder es gebe einen Track mehr auf dem neuen Album. Er brauche einfach mehr Zeit hinter dem Mischpult, um den letzten Song endlich abzuschließen. Auf mich zeigend betont er: »I am doing this guy’s interview because he is already here.« Okay, das ist jetzt eindeutig zu viel Einblick hinter die Kulissen des Musikgeschäfts für mich. Und nach ein paar Minuten klingt Common schon etwas versöhnlicher und denkt darüber nach, vielleicht doch keinen der Pressetermine abzusagen. Am Morgen hatte er schon mal vorab neun Stücke seines siebenten Albums »Finding Forever« vorgespielt. Was da über die erstklassige Anlage zu vernehmen war, klang schon mal großartig.
Eingespielt in Spanien, Neuseeland und Deutschland und wieder hauptsächlich von Kanye West produziert, fielen die Reaktionen der geladenen Kollegen durchweg positiv aus. Die erste Single »The People« ist ein Selbstportrait des Rappers als Anwalt der einfachen Leute. Live-Feeling verbreitet »Misunderstood« dank eines Samples von Nina Simone. Will.I.Am hat den verführerischen Club-Hit »I Want You« beigesteuert. Mit J Dilla, D’Angelo und den Isley Brothers trifft sich Common zu »So Far To Go«, das schon auf Jay Dees »The Shining« zu hören war. Und mit »The Game« hat Kanye West tatsächlich den besten Gang-Starr-Track seit Jahren abgeliefert.
Ob es in Ordnung ist, dass er nur noch eben seinem Onkel zum Geburtstag gratuliere, fragt er mich, bevor es losgehen soll. Natürlich! Und nach einem kurzen Glückwunsch ins Handy können wir anfangen.
Zunächst danke, dass du dir die Zeit genommen hast. Nachdem ich heute früh dein neues Albu »Finding Forever«, in der Prelistening-Session gehört habe, muss ich sagen, dass es sich wirklich wie ein weiterer Common-Klassiker anhört. Es ist ja dein inzwischen immerhin schon 7. Album. Was für ein Konzept steht hinter »Finding Forever«?
Common: »Finding Forever« ist für mich die Symbiose aus Kunst, Musik und Aktivismus, die Generationen überdauern soll. Ziel meiner Kunst ist es, etwas zeitloses zu schaffen. Das heißt nicht, dass ich mich selbst schon als eine Art »Legende« betrachte, sondern, dass ich die Arbeit anderer Künstler wie Joni Mitchell oder Stevie Wonder fortsetze. »Finding Forever« steht für das, was ich mit meiner Kunst erreichen will. Natürlich kann man keine Klassiker produzieren, in dem man etwas als »klassisch« deklariert. Ich denke aber, der Versuch, etwas einzigartiges zu schaffen, ist tief in meinem Wirken verwurzelt. Es schließt an den Gedanken an, dass wir über die physische Existenz hinaus ewig auf der Erde bleiben werden.
Die meisten Tracks wurden wieder einmal von Kanye West produziert. Ich habe Geschichten gehört, dass er immer eine absolute Vorstellung davon haben soll, wie sich eine Platte anhören muss. Zum Beispiel hat er Dj A-Trak gesagt, wie er seine Scratches machen soll, obwohl er eine absolute Koryphäe hinter den Plattenspielern ist. Erlebst du solche Sachen auch mit ihm?
Ja, das passiert ständig! Er sagt mir immer, wenn ihm was nicht gefällt; im Moment soll ich zum Beispiel einen Song für das Album neu einrappen. Ich denke jedoch, dass das die Fähigkeiten eines guten Produzenten ausmachen. Er sollte ein Gespür dafür haben, wie man etwas besser machen kann und es dir dann auch sagen. Besonders weil Kanye auch selbst MC ist, legt er einen großen Wert auf die Texte. Außerdem bin ich nicht der perfekte Rapper, so dass es mir nichts ausmacht, wenn er mich verbessert.
Wie läuft eure Arbeit im Studio ab? Hat er fertiges Material oder entwickelt ihr die Ideen für die Tracks zusammen?
Wir gehen ins Studio und hören uns meistens einfach ein paar Platten an. Er fängt dann an, etwas aufzubauen und ich schaue, ob sich daraus etwas entwickeln kann. Ich warte meistens ab, was er macht, da er schon aus den verschiedensten guten Samples großartige Beats gemacht hat. Oft entstehen so viele tolle Sachen, aber manchmal sitzen wir da und mich interessiert nur einer von fünf Beats, die er macht. Das hält sich die Waage.
Für mich hat es lange gedauert, bis ich Kanye als Musiker verstanden habe. Doch als ich ihn das erste Mal live gesehen habe, hat es mich regelrecht umgehauen. Ich glaube, er weiss genau wie alles funktionieren sollte und dreht dann einfach alles um! Als ich die Beats vom Album heute morgen gehört habe, hat mich vor allen Dingen die stilische Vielfalt begeistert. Jeder Track klingt rhythmisch irgendwie anders.
Ja. Kanye ist definitiv jemand, der in der Lage ist, etwas zu schaffen, was kreativ, frisch und gleichzeitig vielfältig ist.
Deine letzten Alben waren sehr von der Goldenen Ära des Soul und Funk der 70er beeinflusst. Was für eine Bedeutung hat diese Vergangenheit für dich heute?
Ich glaube, dass in dieser Zeit sehr viele kreative und „soulvolle“ Dinge passiert sind. Es gab diesen bemerkenswerte Spirit, diese Einstellung für seine Freiheit und die Dinge, an die man glaubt, kämpfen zu müssen. Die Musik war analog und warm (lacht). Es gab Slogans wie „Power to the people“ und „Free your mind“. Diese Dinge ziehen mich sehr an. Sie haben einen großen Einfluss auf das, was ich in meinem Leben erreichen möchte und ich denke, dass sie auch für die jetzige Generation von Bedeutung sind.
Wie hat die damalige Musik dich beeinflusst? Besitzt du viele Platten aus der Zeit?
Ich kaufe Platten einerseits zum hören, aber auch andererseits zum Samplen. Auf der Suche nach Samples bin ich auf viele Platten gestossen, die mich und meine Musik nachhaltig geprägt haben. Die meisten musikalischen Entwicklungen kamen jedoch durch Freunde, die mir gewisse Platten empfohlen haben, und der Suche nach neuer Musik über die Jahre hinweg.
Mich interessieren besonders die politischen Symbole aus dieser Zeit, wie zum Beispiel die erhobene Faust als Symbol für Black Power. Was für Bedeutungen haben diese Symbole heutzutage, wo sie nur noch schwer mit ihrer damaligen Bedeutung gleichzusetzt werden können?
Ich denke, diese Symbole sind eine Form von Stärke und Stolz, eine Hommage an deine Vorfahren und die Leute, die für diese Sachen gekämpft haben. Es ist aber auch ein Zeichen für Solidarität. Ich habe die Faust zuerst als ein Symbol schwarzer Kraft wahrgenommen, doch ich denke heutzutage symbolisiert es die Einheit aller Farben und den Fortschritt, den wir als Menschen zusammen gemacht haben. Die erhobene Faust bedeutet nicht unbedingt, dass du gegen etwas anderes bist, es heisst nur, dass du deiner ethnischen Herkunft vertrauen und gleichzeitig Liebe für alle empfinden kannst.
Das stimmt einerseits. Andererseits ist es doch ebenso bedenklich, dass diese Gesten oft in einen kommerziellen Kontext wandern, in dem die ursprüngliche Bedeutung vollständig aufgehoben wird.
Mit manchen Dinge passiert das. Ich denke das ist einfach die Art und Weise wie ein System, nenn es Kapitalismus, Dinge und Menschen zu seinem eigenen Vorteil benutzt. Viele Dinge verlieren dadurch ihre Unschuld, jedoch sind es immernoch die Menschen, die diese Dinge aus einer Überzeugung heraus benutzen und diese Haltung kann das System den Menschen nicht nehmen. Hip-Hop, zum Beispiel, wurde ausgebeutet und nichtsdestotrotz gibt es immernoch Leute, die die Musik aus Liebe zur Kunst betreiben. Genauso war es mit Jazz-Musik.
Lass uns noch einmal zum neuen Album zurückkommen. Es gab zwei Lieder, „The People“ und „Misunderstood“, die mir textlich sehr gefallen haben. Wen genau sprichst du mit diesen Liedern an?
»The People« erzählt von Menschen, die eine schwere Phase durchwandern und diese überwinden möchten. Gewöhnliche Menschen mit verschiedenen Hintergründen; Menschen, die mit dem »echten« Leben umgehen müssen. Manche Sachen wenden sich direkt an Leute aus dem Ghetto, jedoch denke ich, dass jeder manchmal schwere Zeiten durchlebt. Das ist nicht nur ein »Ghettoproblem«, sondern etwas, was uns alle betrifft. „Misunderstood“ erzählt von Menschlichkeit aus einer „Strassenperspektive“. Wenn ich etwas über das Geschichtenerzählen gelernt habe, dann dass die Menschen immer eine Beziehung zur Menschlichkeit herstellen können. Egal, welche Hautfarbe du hast, wenn du eine Geschichte über etwas menschliches, alltägliches erzählst, werden dir die Leute zuhören und die Botschaft verstehen. „Die Farbe Lila“, zum Beispiel, war keine Geschichte von Schwarzen, sie hatte nur schwarze als Darsteller. Die Geschichte handelte von normalen Menschen. Ein weiteres Beispiel ist „City of God“. Es ist eine Geschichte aus Brasilien, die jedoch viele Menschen auf der Welt emotional berührt, weil sie dazu eine Beziehung aufbauen können.
Um auf ein ganz anderes Thema umzusteigen, würde ich dich gerne Fragen, wie es dazu kam, dass du jetzt auch eine Filmkarriere gestartet hast?
Ich habe einfach irgendwann angefangen, Schauspielunterricht zu nehmen und habe die Kreativität genossen, mit der ich mich als Schauspieler ausdrücken kann. Nach einer Weile fing ich an, für Filme vorzusprechen und Rollen anzunehmen. Es ist ein Prozess, der noch läuft und in dem ich mich noch entwickeln muss, jedoch ist es bereits jetzt eine große Leidenschaft, die mit der Musik gleichzusetzen ist. Ich habe gerade in Prag einen Film mit Angelina Jolie und Morgan Freeman gedreht, der „Wanted“ heißt. Er wird Ende des Jahres in die Kinos kommen. Den nächsten Film werde ich dann im Juli drehen.
Hast du auch vor, Filmmusik zu machen?
Unbedingt! Das Beste aus beiden Welten zu kombinieren wäre ein Traum, weil ich außerdem schon immer gerne ins Kino gegangen bin.
Außerdem schreibst du jetzt ja auch Kinderbücher. Hat das etwas mit deinen eigenen Kindern zu tun oder ist es etwas, was du schon immer machen wolltest?
Ich habe damit angefangen, weil ich es liebe zu sehen, wie Kinder von dem, was ich mache, berührt werden. Ich denke, dass Hiphop die richtige Sprache ist, in der ich zu ihnen sprechen und womit ich eine positive Botschaft vermitteln kann. Ausserdem war es mir wichtig, dass sowohl Erwachsene als auch Kinder etwas aus diesen Büchern lernen können.
Abschließende Frage: Wird es eine Tour zum neuen Album geben?
Ja, auf jeden Fall. Wann kann ich jetzt allerdings noch nicht genau sagen.