An der Gediegenheit und Irrelevanz, mit der es sich das einst so aufregende und zukunftsweisende Genre des Jazz in unseren Breiten bequem gemacht hat, könnte man verzweifeln. Die bessere Idee: Einen Blick nach Norwegen werfen. So klein das Land mit seinen 5 Millionen Einwohner ist, so groß ist dagegen die Szene. Deren Trumpf ist ein außergewöhnlicher Grad Genre-übergreifender Vernetzung, und damit einhergehend eine musikalische Offenheit. Sie scheint unübersichtlich, erlaubt aber den Einstieg an jeder Stelle.
Hubro als Hafen vielfältiger Leichtigkeit
Ein besonderer Ort, an dem sich dieses manifestiert, ist das Plattenlabel Hubro. Vor 5 Jahren ursprünglich gegründet als auf Jazz und Improv ausgelegtes Sublabel von Grappa, einer der größten unabhängigen Plattenfirmen Norwegens, hat es sich unter den Händen seines Betreibers Andreas Meland schnell zu einem faszinierenden Hafen die Kategorien sprengender Leichtigkeit entwickelt. In jüngerer Zeit fanden sich darauf etwa ein: weltenbummelnde Folk-Erneuerungen von Stein Urheim oder Building Instrument, moderne Komposition für Schlagzeug (im erweiterten Sinne) oder Akkordeon (Håkon Stene, Frode Haltli); farbenfroher, anarchischer Kollektiv-Improv von Skadedyr; pulsierend-melancholische klassische Jazzkompositionen von Cakewalk oder Splashgirl und nicht zuletzt das verwirrend frische Debüt von Møster!, die es fertigbringen, mit Prog/Jazz-Rock Tote aufzuwecken. Die Klangerzählungen von Erik Honorés Solodebüt wiederum – aktuell in den Startlöchern – ranken ins Feld der Electronica.
Von der Verpackung bis zur Musik ein gutes Produkt »Es geht mir, und ich denke auch den meisten unserer Künstler, wie ihm darum, eine ganz persönliche Mixtur zu schaffen, nicht nur Ausdrucksformen zu reproduzieren, die von anderen entwickelt wurden.«
Aus der Sicherheit, mit der sich all das nicht nur zu einem sympathischen Audiogarten fügt, sondern geradezu Popappeal entwickelt, spricht nicht nur die musikalisch neugierige Persönlichkeit von Andreas Meland, sondern auch seine umfassende Erfahrung. »Ich wurde bereits als junger Teenager ein Musikfreak. Spielte Gitarre und Orgel. Weil ich offene
Ohren hatte und gleichzeitig faul war, fand ich ziemlich früh zu freier Improvisation.« Es folgten zehn Jahre Dasein als Musiker in den Grenzbereichen von Elektronik und Noise, als auch als Organisator des Festivals Safe as Milk in seinem Heimatort Haugesund. Dazu zwei eigene Plattenlabel mit Fokus auf Elektronik und Rock. Irgendwann saß er bei Rune Grammofon in Oslo im Büro, wurde norwegischer Labelmanager für ECM. Der Anspruch jener Münchner Premium-Institution findet auf Hubro in Andreas Melands Liebe zum Produkt ganz offensichtliche Fortsetzung – sowohl auf audiophiler Seite (bis hin zu einer Präferenz, dem Vinylformat statt Download-Codes CDs beizulegen) wie in der Verpackung im markanten, minimal-spielerischen Design von Yokoland.
Im Sinne von Jan Garbarek
Angesprochen auf den Einfluss von Jan Garbarek, der auf ECM vor 30 Jahren mit seiner Verbindung von John Coltrane und norwegischem Folk Pionierarbeit leistete (wie auch Nils Petter Molvær um 2000 mit seiner Integration von elektronischer Musik in Jazz), sagt Andreas Meland: »Ich selbst höre ja abgesehen von Nils Økland und dessen Hardangerfiedel in der Band 1982 nicht viele norwegische Anklänge auf Hubro. Aber Jan Garbareks Einfluss ist immens. Es geht mir, und ich denke auch den meisten unserer Künstler, wie ihm darum, eine ganz persönliche Mixtur zu schaffen, nicht nur Ausdrucksformen zu reproduzieren, die von anderen entwickelt wurden.«
Privileg und Pflicht
Es ist klar, dass ein Label wie Hubro nicht ganz nach ökonomischen Maßgaben funktioniert. Immer wieder kann man auf Förderungen durch den norwegischen Kulturrat zurückgreifen. »Das gehört zu den großen Privilegien und Vorteilen, ein kleines Plattenlabel in einem Land mit geölter Wirtschaft zu betreiben. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass es unser Publikum ist, das uns antreibt.« Auch Szenen anderer kleiner Länder von Belgien bis Österreich gedeihen auf kulturpolitischer Aufgewecktheit. Nicht überall gelangt man jedoch so mühelos über personelle und ästhetische Verbindungen von Metal zu Neuer Musik, von Folk zu Noise oder von Elektronik zu Jazz wie im Land von +3db, Rune Grammofon oder eben Hubro Music. Diesen Klängen und dem Neuen, das daraus entsteht, nachzuspüren, gehört zum Spannendsten, was die letzten Jahre musikalisch zu bieten hatten.