Die Entpolitisierung afro-amerikanischer Musik ist in den letzten Jahren schnell vorangeschritten. Wer erinnert sich noch an Hip Hop als das »CNN der Schwarzen« (Chuck D), an die Zeiten als der Breakbeat selbst noch Möglichkeitsräume eröffnete und »kulturelle Geschwindigkeit« (Kodwo Eshun) erzeugte. Um diese Entwicklung einzuholen, ist es mit einer bloßen Rückbesinnung auf politische Slogans nicht getan. Die Musik selbst müsste repolitisiert werden, gerade zu einem Zeitpunkt, in der die USA so provinziell wirkt, wie nie zuvor in seiner Geschichte. In dieser Tradition, in der Musik zu einem Gewebe wird, in dem die gesellschaftlichen Belange verflochten sind, agieren derzeit v.a. weibliche Künstlerinnen: Erykah Badu, Georgia Anne Muldrow und Matana Roberts. Letztere ist nun mit ihrer Veröffentlichung Coin Coin Chapter One: Gens de Coloeur Libres ein Glücksgriff gelungen. Die Platte ist zunächst eine Hommage an Marie Thérèze Metoyer, genannt: Coincoin, die sich, im Süden Louisianas des 19. Jahrhundert lebend, aus ihrem Sklavendasein befreien konnte. Es ist aber auch die persönliche Spurensuche nach den eigenen Vorfahren. Doch diese Aufnahme ist nicht nur eine historische Auseinandersetzung, sondern bewusst auch eine musikalische. Saxofonistin Matana Roberts, tief in der Chicagoer Free-Jazz-Szene verwurzelt, mit Fred Anderson und Von Freeman als Mentoren des Modern Creative, ist bekannt für ihre musikalische Offenheit, Kooperationen mit Prefuse 73 und Tortoise inklusive. Und auch hier verwebt sie Gospel, Blues, R’n’B, Traditionals, Volkskunst mit Jazz, wodurch Albert Ayler und John Coltrane wie Geister über ihren Arrangements schweben. Auch Vergleiche mit Max Roach’s »We Insist – Freedom Now Suite« waren bereits zu lesen. Es ist seine aufwühlende, mitreißende und zugleich nachdenkliche Kraft, die dieses Album derzeit so ausnahmslos macht.
Coin Coin Chapter One: Gens De Couleur Libre