Denke ich ans New York der 1980er, denke ich an HipHop. Run DMC, »Style Wars« und »Beat Street«. Dabei hatte New York auch außerhalb der Bronx und Harlem in diesen Jahren eine stets brodelnde Kunstszene. Von der sogenannten Bildenden Kunst über Film, Fotografie und Schauspiel hatte sich bereits in dem Vorjahrzehnt eine lebhafte DIY-Szene entwickelt, die abseits der gängigen Akademika nach einer neuen Richtung suchte. Jeanette Montgomery Barron war zu diesem Zeitpunkt, dem Beginn der 1980er, in ihren Mittzwanzigern und versuchte sich – wie sie selbst zugibt – äußerst naiv als Fotografin. Naivität bedeutet hier vor allem eins: mit den Großen der Szene auch als blutige Anfängerin auf Augenhöhe agieren. Dazu gehört dann ebenfalls, einfach Andy Warhol anzurufen, um ihn zu fotografieren. Und da Warhols Factory das Herz dieser Kunstszene war, kam eines zum anderen. Barrons Fotoband »Scene« zeigt all die wichtigen Gesichter der New Yorker Underground Kunstszene, die Wannabees, die Diven, die Vergessenen: Cindy Sherman, William S. Burroughs, Keith Harring, Jean-Michel Basquiat, Kathryn Bigelow, Bruno Bischofberger – die Liste ist lang. Wo andere Bücher diese Szene gerne die ausschweifenden Partynächte portraitieren, begibt sich Barron ins (Halb-)Private, von Angesicht zu Angesicht, in den Alltag. Ihre Portraits wirken nur selten gestellt. Meist sind es fast normale Fotos von normal erscheinenden Menschen, die einen kurzen Augenblick teilen. Die Schwarzweiß-Ästhetik verstärkt diese Intimität. Das kann an manchen Stellen jedoch eintönig und nichtssagend wirken. Das Cover mit einem lasziv-lässigen William Defoe ist da fast schon das Maximum an Coolness und Verruchtheit. »Scene« wirkt daher ein wenig, als würde man das private Fotoalbum eines Unbekannten durchblättern. Die Bilder erzählen nur denen eine Geschichte, die dabei waren.
Charles Peterson
Nirvana
Minor Matters Books