Dinge, die auch niemals jemand herausfinden wollte: Das Clubleben lässt sich dann am besten abbilden, wenn es stillsteht. Hatten sich bisher jenseits von Rainald Goetz oder Fotograf*innen wie Wolfgang Tilmanns oder Camille Blake zuvor abertausende Menschen die Zähne daran ausgebissen, die richtigen Worte zu finden oder im perfekten Moment den Auslöser zu drücken, um die Essenz des Clubbings einzufangen, geht es jetzt verhältnismäßig simpel. Schließlich gibt es eigentlich kaum etwas zu erleben und nur wenig zu sehen.
Wie das allerdings inszeniert wird, darauf kommt es an. Die Fotografin Marie Staggat ist seit Jahren fester Bestandteil der Szene und hat sich mit dem Journalisten Timo Stein für das Buchprojekt »HUSH – Berlin Club Culture In A Time Of Silence« zusammengeschlossen, das passender Weise zum Jubiläum der ersten Maßnahmen gegen die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie erscheint – soll heißen, als alle Clubs, die das noch nicht aus eigenen Stücken getan hatten, ihre Pforten schließen mussten.
In die Ecken gezoomt
Staggats Ansatz ist ein detaillierter: Wenn sie nicht gerade das auch während der Pandemie bestehende Fotografieverbote einhält und nur die Außenfassaden der Clubs abbildet, dann zoomt sie mal in Schwarz/Weiß, mal in Farbe in die Ecken rein, in denen sich zuvor noch das Leben tummelte und die nun von erdrückender Leere durchdrungen sind. Es sind ernüchternde Bilder aus den vormaligen Epizentren der Räusche. In der ELSE ist der Holzplanken-Dancefloor mit toten Blättern übersät, im Crack Bellmer türmt sich das Gerümpel vor der vergoldeten Theke. Staggat macht konzise eine Mangelerfahrung sichtbar, die vor allem eine soziale ist.
Menschen bekommt sie dennoch für den Auslöser: Sie hat die Macher:innen hinter den Clubs porträtiert, mit denen sich Stein für kurze, typografisch wild gesetzte Interviews im Entstehungszeitraum des Buches zwischen dem April 2020 und dem Januar dieses Jahres unterhalten hat. »Es war schon erschütternd festzustellen, wie fragil der eigene Lebensentwurf sein kann«, bringt Paloma-Booker Finn Johannsen die eigentlich nicht überraschende, dafür aber umso bitterere Einsicht der frühen Pandemiemonate auf den Punkt. Es ist eine, die sich in unterschiedlichen Varianten durch die gut 40 Gespräche und mit von viel Pathos durchzogenen Porträts zieht, die allerdings nicht nur von der Krise, sondern auch den Biografien dieser Menschen erzählen – das Leben hinter der Leere.
Als Buchveröffentlichung ist das gemeinsame Projekt von Marie Staggat und Timo Stein gleichermaßen Chronik eines Ausnahmezustands wie Psychogramm derer, die sich eigentlich in genau einem solchen vermeintlich am wohlsten fühlen. An sie und ihre Arbeitsstätten übrigens gehen die Einnahmen aus den Buchverkäufen. Damit vielleicht doch wieder Bewegung reinkommt, eines Tages.